Samstag, 12 November 2016 23:10

Donnervogel mit Düsentrieb

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Kurioses aus der Twingo-Welt

  • Spektakulärer Auftritt auf hoher See
  • Twingo im Partnerlook und mit Lack-Tattoos
  • Als Quertreiber bei der Trophée Andros

Auch ohne einschneidendes Facelifting ist der Twingo bis heute geblieben, was die Renault-Werbung zu Beginn seiner Karriere versprach: „Das Gesicht in der Menge“, ein absolutes Unikum. Den Überzeugungstätern unter den Twingo-Fans reicht das häufig nicht aus. Sie wollen dem kompakten Monospace unbedingt ihre ganz persönliche Note verpassen. Motto: Erlaubt ist, was gefällt. Das Spektrum der kreativen Aufwallungen reicht von mehr oder minder gewagten Farbspielereien bis zu massiven technischen Eingriffen, durch die der Twingo zum düsengetriebenen Dragster mutiert.

Mit Düsenantrieb über 300 km/h schnell

Vieles hat der altehrwürdige Nürburgring schon erlebt – heulende Grand-Prix-Boliden kämpften hier ebenso um Trophäen wie brüllende Tourenwagen, donnernde Racetrucks oder kreischende Motorräder. Doch ein solches fauchendes und Feuer speiendes Ungetüm, wie es 1999 im Vorprogramm des 24-Stunden-Rennens über die Start- und Zielgerade der legendären Eifelstrecke braust, sorgt selbst in einem Motorsport-Mekka wie dem „Ring“ für ungläubiges Staunen: Bestückt mit einem Düsenjäger-Triebwerk glüht ein Renault Twingo Jet die Gerade hinunter. Der Lärm ist derart ohrenbetäubend, dass man im einige Dutzend Kilometer entfernten Bitburg glaubt, die vor Jahren ausgemusterte US-Airbase sei reaktiviert worden.

Die Turbine vom Typ Marbore II ist aus dem französischen Schulungsjet Fouga Magister entliehen und füllt das Gepäckabteil nebst Fond komplett aus. Sie schiebt den Düsen-Twingo in weniger als vier Sekunden aus dem Stand von 0 auf Landstraßentempo 100 km/h. Als Höchstgeschwindigkeit schlagen über 300 km/h zu Buche – ein kurzes Vergnügen, das von Bremsfallschirmen jäh unterbunden wird. Seine Atemluft inhaliert das 2.200-PS-Triebwerk über eine vergitterte Öffnung in der Fronthaube. Schalldämpfung? Fehlanzeige! Trotz dreifachem „Gehörschutz“ durch Ohrenstöpsel, Ohrenschützer und Helm klingeln dem Piloten nach seinem Ritt auf der Kanonenkugel tüchtig die Trommelfelle. Dafür züngeln aus dem weit über das Heck hinausragenden Nachbrenner schon im Stand beeindruckende Flammen.

Schubhebel statt Gaspedal

Der Name des tollkühnen Twingo-Dompteurs: Pascal Dragotto. Der Daniel Düsentrieb unter den Stuntmen hat das Feuer speiende Spielzeug selbst gebaut. In Fahrt bringt der Südfranzose aus Les Pennes Mirabeau bei Marseilles das 700-Kilo-Geschoss nicht etwa per Gaspedal, sondern ganz Jet-like mit einem Schubhebel. Die Stoßdämpfer stammen aus der Formel 1. Auch die Bremsanlage hat es in sich: Innenbelüftete Scheiben à 320 Millimeter Durchmesser und Vierkolben-Sättel ringsum bereiten dem Vortrieb im Verein mit den Mirage-Bremsfallschirmen ein Ende. Der Bremsweg aus Tempo 300 beträgt dennoch rund 300 Meter, denn Dragotto muss das brüllende Monster äußerst behutsam zum Stehen bringen. Jeder Fehler könnte der letzte sein. Auch beim Beschleunigen ist äußerste Vorsicht angesagt, „doucement“ heißt die Parole, sonst drängt das Heck an der Front vorbei. Schweißtreibend ist der Job auf dem Fahrersitz allein schon durch die Abwärme der Turbine: Das Triebwerk heizt den Twingo-Innenraum auf 65 Grad Celsius auf.

Vergleichsweise mickrig nehmen sich da die 15-Zoll-Rädchen und die 195/50er-Reifen des Tieffliegers aus, der fast ganz ohne aerodyna­mische Hilfsmittel auskommt. Angesichts der atemberaubenden Fahrleistungen des stärksten Twingo aller Zeiten lässt sich auch der gegenüber der Serienversion leicht erhöhte Verbrauch von 52 Litern Kraftstoff (Kerosin) pro vier Minuten Fahrt leicht verschmerzen.

Feuerroter Wellenreiter

Was passiert, wenn hauptberufliche Twingo-Enthusiasten – nämlich die Renault-Entwickler selbst – ihrer Fantasie freien Lauf lassen, zeigt ein wesentlich leiseres, aber kaum weniger spektakuläres Gefährt. Die Welt staunte nicht schlecht, als im Frühjahr 1995 vor der Festivalstadt Cannes ein schnittiger Katamaran aufkreuzt, obendrauf montiert ein Renault Twingo als Kommandobrücke. Als wäre das Ganze nicht schon exotisch genug, haben seine Schöpfer das eigenwillige Vehikel nach dem Prinzip „Auffallen um jeden Preis“ auch noch quietschrot lackiert. Der Name des amphibischen Geschöpfs lautet „Twingo Marine“. Mit ihm feiern Renault und der Bootshersteller Mercury ihre langjährige Partnerschaft mit dem Filmfestival von Cannes.

Der fröhlich dreinblickende Twingo-Zwitter degradiert all die pompösen Luxusjachten und Nobelkarossen, die zur Festivalzeit in Flottenstärke Cannes ansteuern, zu bloßen Komparsen. Mit zusammen 150 PS sind die beiden Mercury-Außenborder fast dreimal so stark wie der kleine 1,2-Liter-Motor des Twingo. Ruhiger Seegang vorausgesetzt, beschleunigen sie den roten Wellenreiter auf bis zu 30 Knoten. Das sind immerhin rund 55 km/h. Dabei kann der Twingo-Kapitän sein 6,60-Meter-Boot locker vom Fahrersitz aus dirigieren, als wäre er mitten im Pariser Stadtverkehr. Und wenn der Skipper auf Landgang will, kann er seine Kommandobrücke einfach mitnehmen. Möglich macht dies ein Mechanismus, der die Front des Bootes zur Brücke umwandelt.

Per Lack-Tattoo zum Unikat

Wohl kein anderes Renault-Modell reizt seine Besitzer so sehr zur individuellen Ausgestaltung wie der Twingo. Nicht etwa, weil sie mit dem Ausgangsprodukt nicht zufrieden wären. Es liegt vielmehr an der fast persönlichen Beziehung vieler Twingo-Fans zu ihrem Fahrzeug, die sie motiviert, es in Richtung Unikat zu trimmen. Lack-„Tattoos“ sind bei Einsteigern besonders beliebt.

Zwillinge vom Werbedesigner

Im Namen „Twingo“ steckt bekanntlich die Silbe „Twin-“, auf Englisch so viel wie „Zwilling“. Ein vom Twingo-Virus infiziertes Ehepaar aus den Niederlanden nahm dies wörtlich und übergab seine zwei Autos dem Werbedesigner Peter Jeroense in Waspik. Auftrag: Der Künstler sollte den beiden unterschiedlich lackierten Twingo-Exemplaren zu einem unverwechselbaren Familiengesicht verhelfen. Der Künstler löste das Problem mit der identischen und auf der Welt garantiert nur zweimal anzutreffenden „Two-to-Twingo“-Dekoration für die nieder­ländischen Twingo-Zwillinge.

Ein anderes Beispiel: Während viele Twingo-Besitzer keine Mühen scheuen, ihrem knuffigen Begleiter menschliche Züge angedeihen zu lassen, setzte eine Enthusiastin aus Niedersachsen zunächst auf tierisches Styling. Beim ersten Modell diente ein Zebra als Vorlage für die ausgefallene Komplettlackierung. Twingo Nummer zwei präsentierte sie in einem arktisch angehauchten Eiszapfenlook.

Heiße Nummer auf eisigem Parkett

Eis spielt auch bei einer anderen Twingo-Kreation eine wichtige Rolle, die äußerlich vergleichsweise seriennah auftritt, dafür aber innen nicht wieder zu erkennen ist. Die Rede ist von jenem Hightech-Twingo, den die Brüder Frédéric und Philippe Gervoson von 1997 bis 1999 bei der französischen Eisrennserie „Trophée Andros“ pilotierten, dem alljährlichen Highlight der Motorsport-Wintersaison. Die mit 135er-Spikereifen bestückte blaue Rakete verfügt über Allradantrieb und einen rund 300 PS starken 3,5-Liter-V6-Mittelmotor, der sie im Tiefflug über die schnee- und eisbedeckten Pisten treibt. Das Kraftwerk katapultierte bereits den unvergessenen Renault-Sport­flitzer Alpine zu sportlichen Höchstleistungen.

Dreher gehören bei diesem winterlichen Vollgas-Derby zum Geschäft. Statt auf die Bremse zu treten, quittierten die unerschrockenen Gervoson-Brüder und ihr Twingo solche Pirouetten mit sofortigem Full-speed-Einsatz, dass der Schnee nur so stiebt und das Publikum johlte. Die Türklinken voran drifteten sie dann aus den Kurven. Bei diesem spektakulären Eistanz kam ihnen das bullige Drehmoment des V6 von 400 Newtonmetern zur Hilfe, das bereits bei 3.500 Touren einsetzt. Kein Wunder also, dass der gallische Kraft­zwerg sofort zum Zuschauerliebling avancierte. Auch die Karosserie hat mit dem Serien-Twingo nur noch die Form gemein. Die Außenhaut besteht aus Kunststoff und ruht auf einem stabilen Gitterrohrrahmen. Nur ein Hightech-Feature fehlt dem wendigen Herausforderer: die Vierradlenkung. Der „Twingo on the rocks“ startete bei dem populären Winterspektakel deshalb in der Kategorie der zweiradgelenkten Autos – und dies mit Erfolg, denn er holte sich mehrfach den Klassensieg.

Lademeister mit Niveau

Von Natur aus ist der Twingo ein Monospace: Motor-, Fahrgast- und Gepäckraum bilden eine Einheit. Es gibt freilich Vertreter der Twingo-Fraktion, die ihrem Liebling aus lauter Zuneigung mit der Flex zu Leibe rücken und kunstgerecht die hintere Karosseriepartie umgestalten. Das Resultat nennt sich Twingo Pick-up und ist in vielfacher Ausführung zu bewundern. Zwei der originellsten Schöpfungen stammen vom belgischen Designer Luc de Clairfayt: der Feuerwehr-Twingo und der Safari-Twingo.

Der knallrote Feuerwehr-Twingo wartet mit Löschfahrzeug-typischen Details auf wie Blaulicht, Suchscheinwerfern, Hochfrequenz-Antenne und Wassertank auf der Ladefläche, der stolze 624 Liter fasst. Sportstoßdämpfer garantieren, dass die Fuhre sicher um die Ecken kommt, spezielle Motorhaubenverschlüsse sorgen optisch für eine sportliche Note.

Ganz im Zebra-Look à la Daktari kommt dagegen der Safari-Twingo daher. Mit Nebelscheinwerfern, Weitstrahlern und Ersatzrad auf dem Dach wirkt er absolut expeditionstauglich. Fehlt nur noch der Allradantrieb, doch so weit will Luc de Clairfayt dann doch nicht gehen. Einziger Tribut an widrige Bodenverhältnisse sind Gasdruck-Stoßdämpfer.

Twingo mit Lehrauftrag

Ganz anders der Stil des Ladeflächen-Twingo von Laurent Vaullerin aus Savigny en Septaine. Vorbild ist der Chevrolet El Camino aus den 70er-Jahren. Zunächst spannte Vaullerin den Twingo auf eine Platte, dann schnitt er den Wagen direkt hinter den Türen entzwei, schob ein 25 Zentimeter langes Teilstück in die Lücke, verstärkte die Bodengruppe und modellierte zwei sportliche Türschweller. Den derart gestretchten Pick-up legte er um vier Zentimeter tiefer, stellte ihn auf 15-Zoll-Räder mit 195/45er-Bereifung, spendierte ihm den Tankverschluss eines Honda-Motorrads und übergab ihn dann der Berufsschule im benachbarten Bourges, wo ihn angehende Gesellen fachmännisch in knalligem „Amarillo-Gelb“ lackierten.

Nachdem das Äußere fertig und der pädagogische Auftrag erfüllt war, ging es ans Innere. Vaullerin baute eine speziell angefertigte Kingdragon-Lenkradnabe ein und einen neu gestylten Schalthebel. Die zweifarbigen Sitze ließ er speziell anfertigen, genauso wie die Türverkleidungen mit Armlehnen aus Stahl. Als der Pick-up-Enthusiast endlich sein Werkzeug wegpackte, stand ein professionell durchgestylter Lade-Twingo vor ihm, perfekt anzuschauen.

Freilichtbühne und Soundfabrik

Vom Pick-up ist es nur ein kleiner Schritt zum Cabrio. So sieht es auch Philippe Holland, frei schaffender Designer aus Royan an der französischen Westküste, und nahm sich, kaum dass er einen Twingo-Laster Marke Eigenbau beendet hat, den Kleinwagen ein zweites Mal vor. Als gebürtiger Brite skurrilen Ideen ohnehin zuge­neigt, schnitt er dem Kleinwagen hinter den B-Säulen das Dach ab und ersetzte es durch ein vollständig versenkbares Faltdach. Um Verwindungskräften entgegenzuwirken, baute er hinter den Rücksitzen ein festes Schott aus Stahlblech ein. Neu sind auch die hinteren Seitenscheiben mit elektrischen Fensterhebern. Resultat der Operation ist ein Open-Air-Twingo, bei dem – ganz wie früher – die Hinterbänkler im Freien sitzen, während Fahrer und Beifahrer von einem festen Dach beschirmt werden. Schön altmodisch auch der Name der Konstruktion: „Landaulette“.

Maximaler Schalldruck mit 12.000 Watt

Eine solche „Freiluftbühne“ wäre das perfekte Terrain für Elektronik­freaks und Soundfanatiker. Doch mangels Angebot müssen sie mit der geschlossenen Serienhülle des Twingo vorlieb nehmen. Die ganz Harten unter den Soundtüftlern treten mit ihren Fahrzeugen beim dB-Drag-Racing an. Das Kürzel dB steht für Dezibel, und der Name ist Programm: Die Teilnehmer kämpfen nämlich nicht um Sekunden­bruchteile und Stundenkilometer, sondern um den maximalen Schalldruck im Fahrzeug. Zu ihnen gehört Florian Cichon aus Germering bei München. Sein Twingo ist ein reiner Zweisitzer: Der gesamte Raum hinter den Vordersitzen ist belegt mit neun Verstär­kern – allein acht davon für die Bässe -, zwei 18-Zoll-Woofern in einem 600-Liter-Gehäuse und jeder Menge Lautsprechern. Gesamt­leistung der Soundbatterie: 12.000 Watt! Das reicht für 162 Dezibel – lauter als eine Boeing 747 beim Start – und einen deutschen Vizemeistertitel.

Jüngster Trend: der tanzende Twingo

Und dann gibt es noch jene Extremisten, die ihre Autos zu den Boxenklängen tanzen lassen. „Lowrider“ nennen sich die Fahrzeu­ge mit solchen motorischen Fertigkeiten. Möglich macht es ein raffiniertes System von Hydraulikpumpen und -zylindern. Ursprüng­lich eine rein amerikanische Domäne, hat sich in den vergangenen Jahren auch in Europa eine verschworene Lowrider-Szene etabliert. Und die rüstet nicht nur großvolumige Ami-Schlitten um, sondern genauso europäische Kompaktwagen. Auch vor dem Twingo macht sie keinen Halt, denn der verspricht höchsten Originalitätsfaktor. Motto: „Da steppt das Knuddeltier.“

Quelle: Renault Presse-Service, 24.07.2003

Gelesen 12923 mal Letzte Änderung am Dienstag, 03 Oktober 2017 20:00

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